“WE`RE  ALL  DUST”

Current Ninety Three, „Bloomsbury Theatre“ London, 6. und 7. April 2001

 

“Ladies and Gentlemen, God is love, Current Ninety Three!” lautete die Ansage von Joolie Woods Sohnemann. Zur Erheiterung des Publikums vor und nach der Umbaupause.

Nach einer Nacht auf dem Flughafen, einem aufregendem Flug an sich und einem Tag im hektischen London, Backworld und Antony and the Johnsons als idealen Einklang war es nun also soweit: ein angespanntes Luftholen und Zurücklehnen in den samtroten Theatersitz und dann betrat David Tibet mit seinen Mannen die Bühne. Michael Cashmore, Joolie Wood,  Gary Ramon. Meine Gänsehaut wurde zu einem Permanentzustand, nicht nur weil David Tibet zu meinen Musikheroen schlechthin zählt und seine Musik mit dem Wort „intensiv“ nicht besser beschrieben werden kann, auch wegen seiner Erscheinung als solcher. Verunsichert, krank, niedergeschlagen, müde vom Leben und doch irgendwie voller Hingabe. Das waren meine ersten Eindrücke von David Tibet, die gleichzeitig die Befürchtung hervor riefen, er würde, um einen möglichen Zusammenbruch zu verhindern, das Konzert vorzeitig abbrechen und von der Bühne wanken. Jedenfalls reichte sein Zustand aus, um meine Begleiter und mich in Sorge zu versetzen. Nach wenigen Liedern schien er sich jedoch gefangen zu haben und begeisterte das Publikum mit Klassikern wie „In the heart of the wood and what I found there“ sowie neueren Stücken wie „Immortal bird“, um dann mit Liedern der „Soft black stars“ mit Unterstützung von Maja Elliott am Klavier in eine schwelgerisch- melancholische Atmosphäre abzutauchen. Auch Gaststars wie Rose McDowall und Karl Blake wurden mit tosendem Beifall vom Publikum aufgenommen. Nach der zweiten Zugabe wurde man dann jedoch wieder an die Wirklichkeit zurück gegeben. Londons regnerische Nacht bot zwar ausreichend Gelegenheit, sich beim Gang ins Hotel wieder abzukühlen, dennoch kam ich mir sehr weltentrückt vor und plötzlich wieder zurückgeworfen in das Hier und Jetzt. Und somit fieberte ich bereits sehr gespannt dem Samstag entgegen.Dieser begann an Stelle Backworlds mit Pantaleimon, welche mir etwas zu ruhig waren und wurden erneut mit Antony and the Johnsons fortgeführt. Antony und seine Musiker hatten mich mit ihrer durchaus charmanten Art schon am Vortag begeistert und wussten auch diesmal die Wartezeit auf Current Ninety Three zu verkürzen.Nach einer Einleitung Jeremy Reeds folgte „Good Morning, Great Moloch“. Ich ließ die Strapazen der Stadt, des gesamten Wochenendes an meinem inneren Auge vorrüber ziehen und wusste gleichzeitig, dass sich dies alles dennoch gelohnt hatte. Zufrieden zurückgelehnt mit der Feststellung, dass David Tibet deutlich besser als am Vortag aussah, konnte ich das Konzert genießen, das sich zu dem vom Abend zuvor sehr unterschied. In der Auswahl der Lieder gab es zwar nur wenige Änderungen, doch Tibets Auftreten hatte nicht mehr dieses manische Beschwören, er war lebendiger, voller Energie und das merkte man jedem einzelnen Lied an. Das Publikum dankte mit nicht enden wollendem Beifall und Standing Ovations. Nach einigen Dankesworten und dem Wurf einer signierten Noddy- Puppe in das Publikum folgten noch mehrere Zugaben. Herr Tibet und die anderen Stars des Abends wie Rosie, Joseph Budenholzer, Antony, Joolie Woods Sohn Sam Mannox verzauberten das Publikum mit ihrer Energie, der absoluten Hingabe an die Musik. Ich war von dieser Atmosphäre einfach nur gebannt, gerührt, begeistert, sprachlos. Nach „A Gothic Lovesong“ mit David Tibet und Antony im Duett folgte noch „A Sadness Song“ als Finale. Das Publikum tobte.Wieder einmal hatte Current Ninety Three es geschafft, durch die Wahrhaftigkeit, welche in der Musik schlummert, man weiß und spürt einfach, dass in diesen Liedern jede Phase einer Seele liegt, die nichts vorgibt, spielt, die sich offen wenn auch verschlüsselt preisgibt, einen magischen Moment aufzubauen. Noch auf dem Flughafen sangen wir den Refrain von „Oh Coal Black Smith“ und wurden mit den am Verkaufsstand verteilten Smilies und in London verzweifelt gesuchten Noddy- Puppen vom normalen Volke wahrscheinlich als eine kuriose Sekte abgetan. Doch was sind das für unbeschreibliche Momente, wenn man noch nach einiger Zeit später von fremden Menschen angesprochen wird darauf und sofort an einer Bushaltestelle in eben diesen Singsang verfällt?! Unvergesslich!

 

Text: Cato Beek

Photo: Christoph Robin